Meinung

Professionellere Steuerfahndung könnte Milliarden einbringen

04:22 Minuten
Die Lichter in den Büros der Frankfurter Bankenskyline leuchten am Abend und spiegeln sich im Wasser
Wer wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt, legt sich mit großen Banken an, für die es um viel Geld und für die Täter oft sogar um Gefängnisstrafen geht © picture alliance / greatif / Florian Gaul
Ein Kommentar von Anne Brorhilker |
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Im Kampf gegen Finanzkriminalität sind bessere Strukturen nötig. Dafür braucht es politischen Willen. Schließlich geht es bei den Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften nicht nur um Steuerbeträge in Milliardenhöhe, sondern auch um Vertrauen in den Rechtsstaat.
„Liebe alle, …“ Wer einen Bürojob hat, kennt E-Mails, die so anfangen. Braucht man halt manchmal, für wichtige Infos oder schnelle Absprachen.
In meinem alten Job als Staatsanwältin habe ich unter anderem gegen Banken wegen Cum Ex ermittelt, gemeinsam mit Polizei und Steuerfahndung. E-Mails an alle konnte ich aber nicht schreiben. Weil es nicht ging. Technisch nicht möglich. Videokonferenzen mit allen? Ebenfalls unmöglich, weil alle Behörden unterschiedliche technische Systeme nutzten, andere Lösungen waren ihnen jeweils verboten. Wir waren zwar eine Ermittlungsgruppe und sollten zusammenarbeiten, konnten aber – bis auf Telefonate – keine Informationen austauschen.
Das klingt vielleicht wie eine Kleinigkeit. Für die Cum-Ex-Ermittlungen war die vermeintliche Kleinigkeit aber ein ernsthaftes Problem. Wer wegen Cum-Ex ermittelt, schwerer Steuerhinterziehung also, legt sich mit großen Banken an, für die es um viel Geld und für die Täter oft sogar um Gefängnisstrafen geht. Die wehren sich mit allen Mitteln. Doch die Gegenseite, die Behörden also, sind nicht einmal in der Lage, die Zusammenarbeit zwischen den Ermittlern zu ermöglichen?

Der Staat kann sich wehren

Für solche Probleme gibt es natürlich Lösungen. Für die technischen Fallstricke ebenso wie für die großen Ressourcenunterschiede zwischen den Ermittlern und den Tätern im Bereich Finanzkriminalität. Der Staat kann sich wehren, wenn Kriminelle ihn ausnehmen. Er kann durchsuchen, ermitteln, anklagen und bestrafen. Die Voraussetzung dafür ist, dass der politische Wille da ist. Dass jemand mit Macht sagt: „Das machen wir jetzt.” Dann sind plötzlich viele Dinge möglich, die vorher undenkbar waren, das habe ich selbst erlebt.
In NRW hat der damalige Justizminister Peter Biesenbach zum Beispiel dafür gesorgt, dass für die Cum-Ex-Ermittlungen eine gesonderte Datenplattform eingerichtet wurde. Erst damit war dann ein Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Ermittlungsbehörden möglich.

Der CumEx-Steuerraub ist noch immer nicht aufgeklärt

Und diesen politischen Willen brauchen wir jetzt für ganz Deutschland. Denn der Cum-Ex-Steuerraub ist noch immer nicht aufgeklärt. Und bei Cum-Cum, dem großen Bruder, mit viel größeren Schäden und einem deutlich größeren Täterkreis, sind die Ermittlungen sogar noch ganz am Anfang. Doch uns läuft die Zeit davon – weil Taten verjähren können, weil Aufbewahrungsfristen für wichtige Geschäftsunterlagen, potenzielle Beweismittel also, ablaufen.

Es braucht professionelle, zentrale Strukturen

Der Kampf gegen Cum-Ex, Cum-Cum und vergleichbare Taten braucht professionelle, zentrale Strukturen. Er braucht Ressourcen, vor allem personelle – wer die komplexen Geschäfte aufdecken will, braucht mehr fachkundige Ermittler und schlagkräftige Teams. Er braucht zuständige Behörden, die sich tatsächlich verantwortlich fühlen, angefangen beim Bundesfinanzministerium. Und er braucht Kooperation, zwischen einzelnen Behörden ebenso wie zwischen den Ländern und dem Bund.
Dafür ist politischer Wille von Nöten – und Menschen in Entscheidungspositionen, die begreifen, was hier auf dem Spiel steht. Denn es geht nicht nur um eine Menge Geld: knapp 30 Milliarden Euro im Fall von Cum-Cum, knapp zehn Milliarden bei Cum-Ex. Und das sind konservative Schätzungen. Doch es gibt noch einen weiteren Schaden, der sich nicht in Euro beziffern lässt: Der Schaden am Vertrauen in den Rechtsstaat.

Vertrauen in den Rechtsstaat steht auf dem Spiel

Wenn Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass die Justiz mit zweierlei Maß misst, dass sie manche Auseinandersetzungen scheut, aus Feigheit oder Bequemlichkeit, dann werden sie das Vertrauen in den Rechtsstaat ganz verlieren. Erste Anzeichen lassen sich schon jetzt sehen, in Stimmungsbildern und Wahlergebnissen. Wenn sich das nicht noch vertiefen soll, müssen wir handeln. Jetzt. Das ist eine Nachricht an alle – im Radio geht das ja.

Die Juristin Anne Brorhilker war Oberstaatsanwältin in Köln und ermittelte seit 2013 federführend gegen den so genannten Cum-Ex-Betrug. Wegen ihrer Zweifel am politischen Willen zur Aufklärung des Steuerskandals kündigte sie im April 2024 ihr Beamtenverhältnis und arbeitet seitdem für die Bürgerbewegung Finanzwende als Co-Geschäftsführerin.

Anne Brorhilker (r) sitzt im September 2019 in ihrer damaligen Funktion als Oberstaatsanwältin vor dem Landgericht auf dem Platz des Anklägers und spricht mit Personen, die neben ihr sitzen.
© picture alliance / dpa / Marius Becker
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